Text Angelika Janssen
„Was mache ich nur hier?“
Entgiften, entschlacken, die Seele vom Müll befreien? Eine traditionelle AyurvedaKur aktiviert die Selbstheilungskräfte und verjüngt ungemein. Man darf sie nur nicht mit einem entspannten Relax-Urlaub verwechseln. Ein Erfahrungsbericht
Im letzten Winter habe ich in Kerala im Dorf Choozhattukotta nahe der südindischen Stadt Trivandrum eine traditionelle Ayurveda-Kur erlebt. In einem kleinen Sanatorium, eher familiär als luxuriös, aber wunderschön gelegen, ein Traum von sanfter, dichter Landschaft: überall Palmen, überall Wärme, überall Licht oberhalb des Karamana-Flusses; wo man die Mahouts dabei beobachten kann, wie sie ihre Arbeitselefanten im Flussbett waschen.
Den Entschluss zu einer traditionellen Ayurveda-Kur traf ich ein halbes Jahr zuvor. Aus dem Bauch heraus; und einem Tipp vertrauend. Ich hatte nur so eine schwirrende Vorstellung in mir, die sagte, ach was, die schrie: entschlacke dich! Von den ungesunden Snacks zwischendurch! Von den Migräne auslösenden Proseccos auf Premierenfeiern und Vernissagen! Von den Zigaretten, die einen ja mittlerweile als disziplinloses Wesen stigmatisieren! Von, von, von! Außerdem erwischte ich mich immer öfter dabei, wie ich Argumenten zugänglicher wurde, die eine Botoxinjektion mit der unumgänglichen Wurzelbehandlung eines Backenzahns gleichsetzten. Kurzum: Das Abenteuer einer Krise kündigte sich an, und so konterte ich nach dem Motto Detox statt Botox mit dem Abenteuer Ayurveda. Nicht wissend, dass ich tatsächlich unbekannte Täler durchschreiten und in tiefe Abgründe tauchen würde, ehe ich zwei Wochen später mit vor Stolz gepolsterter Stirn, um gefühlte fünf Jahre verjüngt, wieder in meinem Hamburger Büro sitzen würde.
Doch eigentlich hätte ich gleich am ersten Tag stutzig werden müssen. Als ich einigen Gästen auf der Terrasse im Haupthaus des Ayurveda-Resorts erwartungshungrig erzählte, dass ich gleich meine erste Fußmassage erhalten sollte. Lag da nicht Mitleid im Blick der Unternehmergattin aus Bad Dürkheim, während sie kurz von ihrer Romanlektüre „Eat, Pray, Love“ aufblickte? Und war das sympathische Lächeln von Tom, einem Londoner Designer, nicht viel eher ein breites, ja, hämisches Grinsen? Ich fragte nicht nach ihren Erfahrungen. Wer will schon Dinge hören, von denen er genau weiß, dass er sie nicht hören will, weil er sonst nur kalte Füße bekommt?
Die traditionelle Kerala-Fußtherapie, die vom Ayurveda-Arzt Vijayan bereits in der 68. Generation praktiziert wird (sein Urahn massierte womöglich schon zu Buddhas Lebzeiten), ist keine Therapie am Fuß. Sondern mit den Füßen. Zunächst wird mein gesamter Körper mit Ölen eingerieben, die frisch in der Kräuterküche auf dem Gelände nach alten vedischen Rezepten hergestellt werden. Die Gerüche von indischem Weihrauch vernebeln mir die Sinne. Über mir hängt ein Seil, an dem sich der indische Arzt Vijayan und seine deutsche Assistentin festhalten, während sie mit ihren vier Füßen kraftvoll auf meinen Nadis (Energiebahnen) und meinen Marmas (Energie- und Kreuzungspunkte) entlangwandern. Die Betonung liegt auf kraftvoll; denn nur so soll das Gewebe gelockert, sollen Blockaden gelöst, Toxine abtransportiert und die drei Doshas (Bioenergien) in Einklang gebracht werden. Meine sind komplett durcheinander.
Ich kralle meine Nägel in die Pritsche, hole Luft, halte den Atem an, und wenn es ganz schlimm wird, lache ich laut los, so als wär's ein schlechter Witz. Immer im Wechsel. Als sie mich auf die Seite drehen und weiter mit ihren Zehen in meinen Blockaden bohren (selbst an den Armen befinden sich welche), schließe ich die Augen und frage mich „Was mache ich nur hier?“ Schmerzverzerrt wundere ich mich über meine Vorstellung, dieses wahnwitzige Unterfangen mit der Fantasie von einem Relax-Urlaub verbunden zu haben, bei dem ich die Seele baumeln lassen könnte und nebenbei ein bisschen entgifte und entschlacke. Vielleicht wäre ich nach der ersten Massage abgereist, hätte ich bloß die Kraft dazu gehabt. Auf jeden Fall aber, hätte ich gewusst, dass ich nach der zweiten Behandlung zu sterben glaubte. Wie Wehen überwältigen mich Erinnerungen an einst erlebte physische Schmerzen. Mein Kopf dröhnt, das Fieber steigt, die Nieren quälen sich, und ich will nur eines: die Flasche mit den Schmerztropfen, die ich für den Notfall mitgenommen habe, in einem Zug leeren. Doch ich tue es aus Trotz nicht, schließlich will ich dem Ayurveda-Arzt beweisen, dass seine Diagnose von einem in Gang gekommenen Entgiftungsprozess völlig haltlos ist. Soll er doch sehen, wie er das nach meinem Ableben dem deutschen Botschafter erklärt. Und so wälze ich mich eine Nacht lang im Saft des Selbstmitleids, bis mich um fünf Uhr früh die Gesänge der umliegenden Hindi-Tempel in den Sonnenaufgang hinaustreiben.
Nach der dritten Fußmassage will ich den Aufenthalt um zwei Wochen verlängern; und das nicht, weil mir die staatliche Ayurveda-Ärztin, die täglich zu Konsultationen aus der Stadt ins Resort kommt, verspricht, dass ich nach zwei Wochen Kur um fünf Jahre, nach vier Wochen jedoch um zehn Jahre biologisch verjüngt sein werde. Nein, ich treibe plötzlich träge und etwas entrückt durch den Tag. Der Körper, von dem ich jede Faser spüre, ist wieder Teil meines Selbst. Stress? Hektik? Unachtsamkeit? Wie war das noch? Mein Wohlgefühl scheint die Haut von innen aufzupolstern. Und das bereits, bevor ich in den Genuss von herrlichen Ölbädern komme, bei dem heiße, flüssige Ingredienzien mit einem Tuch von zwei Inderinnen über meinen Körper verteilt werden. Sie tauschen dabei auf Malayalam den neuesten Dorfklatsch aus. Kichern wie Kinder.
Nach fünf Tagen soll eine Mischung aus geklärtem Butterfett (Ghee) und Rizinus die Gifte endgültig ausschwemmen. Ich schlucke. „Bei mir begann es um zwei Uhr nachts und dauerte vier Stunden“, prahlt Britta, die im normalen Leben als Kommissarin beim Erkennungsdienst der Polizei arbeitet. Ehe die anderen Gäste ins Detail gehen, trete ich die Flucht an. Meine mitreisende oder besser mitleidende Freundin, eine Filmemacherin, folgt mir aufs Zimmer. Wir sind wild entschlossen, diese gruppendynamischen Prozesse in einem Drehbuch mit dem Arbeitstitel „Das Karma-Hotel“ zu verarbeiten.
Wieder wecken mich die Tempelgesänge. Ich gehe zum Fluss. Der Morgendunst lichtet sich und gibt den Blick auf das andere Ufer frei. Ein Kormoran erhebt sich in die Luft. Schmetterlinge tanzen um die Banyanbäume. Ich beginne die Erzählungen zu verstehen, die von Kerala als Märchenland berichten. Es scheint tatsächlich noch jenes verschwindende Indien zu geben; ein ruhiges Land, voll natürlicher Schönheit und prächtiger Farben. Der Zauber setzt sich bei der nächsten Behandlung fort. Für mich ist er der Höhepunkt, andere können den Stirnguss (Shirodhara) nicht ertragen. Dabei läuft eine Stunde lang ein feiner, warmer Strahl aus Öl über die Stirn. Das Personal sorgt dafür, dass absolute Stille herrscht. Ich fühle mich wie ein Engel, der nach langer Untätigkeit endlich wieder seine Flügel kräftig schlagen lassen kann. Von Tag zu Tag mehr.
Ein halbes Jahr ist seither vergangen. Der Alltag hat auch mich wieder schnell im Griff, doch nicht mehr die schlechten Gewohnheiten. Wenn der Stress um sich greift, schließe ich die Augen, und Kerala ist ganz nah. Und dann frage ich mich: „Was mache ich nur hier?“
(Lufthansa Woman's World 02/08)